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Machtlos gegen Gewalt?
Analyse-Modelle von Konflikten und Gewalt:

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Aggression

Soziale Entwurzelung

Lernen an Modellen

Urteilskompetenz

 
Bei der Analyse von Konflikten und von Gewalt wird nach Ursachen gesucht, die während einer Konfliktbehandlung beseitigt werden sollen. Literaturbeispiel zu den Analysemodellen: Hurrelmann, Rixius, Schirp u.a. "Gegen Gewalt in der Schule - Ein Handbuch für Elternhaus und Schule", Beltz 1996
 

Aggression

       
       
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Drohgebärde eines Schimpansen
 
Ein Rechtsradikaler?
 
Einüben von Aggression
für eine Filmdarstellung
     
Aggressives Verhalten unter Tieren und Menschen


"Wir haben keine Angst vor Gewalt, weil sich unser Leiden gar nicht mehr steigern lässt." sagte ein Palästinenser
(Zeit Nr. 33, 2001)

  Aggressives Verhalten ermöglicht eine Verteidigung des eigenen Lebens, eine Verteidigung der Gruppe, die Beseitigung von Hindernissen zur Triebbefriedigung, ein Rangordnungsverhalten, ein sexuelles Rivalisieren, ein Territorialverhalten und Rivalisieren um Objekte.
Aggressives Verhalten ist also zur Durchsetzung zahlreicher Verhaltensweisen notwendig.
Aggresssionsverhalten hatte daher in der biologischen Entwicklung der Arten (Evolution) einen hohen Selektionswert. Denn Tiere, die überhaupt nicht kämpfen, hätten kaum Überlebens- und somit Reproduktions- chancen. Da Kämpfen aber risikoreich ist und Verletzungen oder gar den Tod zur Folge haben kann, hat sich das Aggressionsverhalten in keiner Tiergruppe völlig zurückentwickelt. Die nachteiligen Auswirkungen wurden vielmehr durch zahlreiche andere Anpassungen vermindert. Zum Beispiel durch Imponiergehabe oder Drohgebärden. Auch Menschen nutzen, kulturell überformt, Drohgebärden, etwa bei Sportveranstaltungen oder auch in der Werbung.
     
Aggressionstheorien
der "alten Schule"

 

 

 

  Triebtheorie der Aggression (K. Lorenz): Das Aggressionsverhalten ist auch beim Menschen ein echter Instinkt mit eigener endogener (zur Art gehörender) Antriebssteuerung.
Frustrations-Aggressions-Theorie: Frustration ist die Störung einer zielgerichteten Aktivität. Aggression ist immer die Folge einer Frustration, die dann auf die Verletzung des Organismusses gerichtet ist, der die zielgerichtete Aktivität stört.
Lerntheorie der Aggression: Aggressives Verhalten kommt ausschließlich durch Lernen zustande und wird am Modell gelernt.
     
Aggressionstheorien
der "heutigen Schule"



Reklame:
robbie williams im stadion



Reklame:
"Was heißt hier schon Preis-aggressiv?"

 

Heute geht man davon aus, dass das Aggressionsverhalten des Menschen ein kompexes Zusammenwirken unterschiedlicher Bedingungen und Einflüsse ist:

  • genetisch bedingt: Eine Mensch kann genetisch besonders aggressiv aber auch friedlich veranlagt sein.
  • physiologisch bedingt: Hormone und Neurotransmitter sind bei der Steuerung aggressiven Verhaltens beteiligt.
  • gesamtorganisch bedingt: Psychische Zustände, Empfindungen und Motive beeinflussen das Aggressionsverhalten.
  • gruppensoziologisch bedingt: Bei Ausbildung oder Zerfall einer Rangordnung sind alle Beteiligten aggressiver als bei gefestigter Hierarchie. In einer anonymen Gruppe reagieren die Mitglieder anders als unter Bekannten.
  • sozial-ökologisch bedingt: Große Gruppendichte oder Armut oder Nahrungsknappheit beeinflussen aggressives Verhalten.

Neben diesen fünf unmittelbaren Einflüssen wirken aber noch drei weitere historisch bedingte Einflüsse auf das aggressive Verhalten:

  • ein stammesgeschichtliches: Aggressives Verhalten hat sich bei verschiedenen Arten unterschiedlich ausgebildet, ebenso gibt es wohl evolutionsbedingte Unterschiede zwischen den menchlichen Rassen.
  • ein kulturgeschichtliches: Aggressives Verhalten ist durch Ritualisierungen kulturell überformt.
  • ein ontogenetisches: Persönliche Erfahrungen, Erlebnisse, Frustrationen, Ängste, Vorbilder beeinflussen aggressives Verhalten.
Alle 8 Einflüsse wechselwirken (kausal und rückgekoppelt) miteinander und erklären zusammen das Aggressionsverhalten des Menschen. Bei dem einen Menschen sind mal mehr bei dem anderen mal weniger Einflüsse zentral wirksam.
Aber nach dem Anschlag auf das World Trade Center, so Thomas Assheuer, (Die Zeit, September 2001), zwingt uns der islamische Hass auf westliche Lebensformen, alte Fragen nach dem Ursprung der Gewalt wieder neu zu stellen. Gibt es soziologische und philosophische Erklärungen für barbarische Akte - oder entziehen sie sich jeder Ursachenforschung? Besteht ein Zusammenhang zwischen Gewalt und ungerechter Weltordnung? Wenn nicht: Woher rührt die Gewalt dann? Ist sie eine anthropologische Konstante?
Es gibt Stimmen, die Gewalt als ein Grundelement des Lebens in Gesellschaften beschreiben. Gewalt ließe sich zwar eindämmen und an die Polizei von Staats wegen übertragen, aber nicht abschaffen. (K.O. Hondrich, Soziologieprofessor an der Uni Frankfurt).
   
   

Soziale Entwurzelung und Orientierungslosigkeit

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Soziale Desintegration

weist unter anderem hin auf eine wachsende Vereinzelung und Isolation der Menschen infolge eines zunehmenden individuellen Nützlichkeitsdenkens, auf ein Lockern der sozialen Verwurzelung und auf sich verschlechternde soziale Rahmenbedingungen (z.B. Zunahme von Arbeitslosigkeit, Zunahme alleinerziehender Eltern, Zunahme von Armut, ....).

Soziale Desintegration beschreibt das häufige Nichtgelingen von Erziehungsprozessen in unserer pluralistischen und multikulturellen Gesellschaft, in der die „Vorbilder" und Ordnungsstrukturen aus den Medien stammen.
 



Die Karikatur von Anita Ortega, 18 Jahre, erhielt einen ersten Preis beim bundesdeutschen Karikaturenwettbewerb, ausgeschrieben vom
Studienkreis Bochum und der Deutschen Jugendpresse

   
 

Lernen am Modell ... Lernen am Modell

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  Mit diesem Modell wird einerseits erklärt, dass gewalttätige Kinder überdurchschnittlich häufig aus Familien kommen, in denen selbst ein aggressives Klima herrscht und Gewalt ausgeübt wird.
Zum anderen erklärt dieses Modell einen möglichen Zusammenhang von „visuellem Gewaltkonsum" in Fernsehen, Video und Computerspielen und dem aggressiven Verhalten von Kindern und Jugendlichen.
Von einer bedingungslosen Folgenlosigkeit der Darstellungen von Gewalt im Fernsehen wird heute nicht mehr ausgegangen. Die medialen Gewaltdarstellungen in den Medien können kurzzeitig beim Hörer, Zuseher oder Leser aggressive Tendenzen verstärken, aber auch langfristig ein Bewusstsein prägen, dass gesellschaftliche Gewaltverhältnisse immer schon vorhanden waren und deshalb als "normal" angesehen werden müssen.

<<<< Die Karikatur von Bernd Kissel, 17 Jahre, erhielt einen ersten Preis beim bundesdeutschen Karikaturenwettbewerb, ausgeschrieben vom Studienkreis Bochum und der Deutschen Jugendpresse

     
Die Verherrlichung von Gewalt in den Medien ist fast ein Normalzustand. Es besteht aber heute die Gefahr weniger darin, dass es bei Gewaltdarstellungen zu direkten Nachahmungstaten kommt, als vielmehr darin, dass aggressive Modelle ganz allmählich Werte, Normen und Einstellungen gegen Gewalt verändern und dass Gewalt als Problemlösungsmittel dargestellt wird.

Zum Einfluss der Medien werden die drei folgenden Thesen diskutiert:
 
     
Die Imitations-These

  Dieser Ansatz geht auf die Untersuchungen von Albert Bandura zurück und unterstreicht den unmittelbaren Zusammenhang von Gewaltdarstellungen des Fernsehens und Nachfolgetaten von Jugendlichen. „Vor allem bei Kindern wurden entsprechende Handlungen beobachtet, und diese reine Imitation der Motorik aggressiven Verhaltens lässt sich bei Kleinkindern auch nach wie vor feststellen. Auf Erwachsene allerdings ist dieses Modell weniger gut anwendbar." Nach Jo Groebel stellt das inzwischen weiterentwickelte Modell einen interessanten Ansatz dar. Bei ihm heißt es: „Wenn gehäuft aggressive Problemlösestrategien angeboten werden, nicht-aggressive viel seltener vorkommen und gleichzeitig entsprechende Alltagserlebnisse fehlen, entwickeln besonders Vielseher ähnliche (aggressive) Wahrnehmungsmuster, die in entsprechenden Situationen auch in Verhalten umgesetzt werden können." (Albert Bandura: Social learning through imitation / Jo Groebel, Uli Gleich: Gewaltprofil des deutschen Fernsehprogramms).
     
Die Katharsis-These

  Die Katharsis-These besagt, es gebe im Sinne der Dramentheorie von Aristoteles, kathartische - „reinigende"  - Prozesse beim Anblick von Bildern der Gewalt in den Medien. Durch das Nachvollziehen der Gewaltakte - besonders im Bereich des Spielfilms - im fiktionalen Geschehen nehme die Bereitschaft des Zuschauers ab, selbst gewalttätig zu handeln.
Diese Behauptung, dass jede Fantasieaggression auch eine kathartische Funktion hat, lässt sich nach Michael Kunczik nicht aufrechterhalten: „eine durch das Ansehen gewalttätiger Medieninhalte bewirkte Aggressivitätsminderung aufgrund des Abfließens des Aggressionstriebes erfolgt nicht".
     
Die Inhibitions-These

  Die Inhibitions-These besagt, dass  mediale Gewalt-Darstellungen zu aggressiven Impulsen bei den jungen Hörern, Sehern und Lesern führen können. Doch werden diese durch die Angst etwa vor elterlicher Gewalt unterdrückt oder doch kanalisiert. Kriegsspiele oder gewalttätige Spiele der Kinder auf dem Schulhof oder der Straße, können durch das Fernsehen inspiriert und angeregt angesehen werden. Die aggressionshemmenden Faktoren sind weniger in der Fernsehdarstellung als in der Umweltreaktion des "Zuschauers" auf die dargestellten Gewaltszenen zu suchen. Bruno Bettelheim formulierte in diesem Zusammenhang eher optimistisch: „Es gibt kaum eine Sendung, aus der ein Kind nicht vieles lernen könnte, sofern ein verantwortungsbewusster Erwachsener die notwendigen Hilfen gibt. Selbst Sendungen mit gewalttätigen Szenen sind keine Ausnahme, doch darf das Kind nicht so verängstigt oder so wütend sein, dass es vom Geschehen völlig überwältigt wird. Es ist für Kinder sehr wichtig, dass sie die richtige Einstellung zur Gewalt entwickeln; die Augen vor existierender Gewalt zu verschließen, kann wohl kaum als konstruktive Haltung gelten. Jedes Kind muss lernen, was an der Gewaltanwendung falsch ist und aus welchem Grund, warum es Gewalt gibt und wie man mit ihr bei sich selbst und bei anderen umgehen sollte."
   
 

Fehlende Urteilskompetenz

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Schulabbruch, kein Schulabschluss, keine Lehrstelle ... Eine Szene in Berlin, die aber auch überall sein könnte. aus:
"Der Krieg der Kinder",
Spiegel 15/98
  Man könnte zunächst annehmen, dass die Wahrscheinlichkeit zur Bereitschaft von Gewalt wächst, je geringer die individuelle Urteilskompetenz ausgeprägt ist. Im Falle einer Gewaltausübung ist aber entscheidend:
  • ob es gelingt, zwischen Gewaltmotiv und geplanter Aktion eine Reflexionsphase einzuschieben,
  • ob es gelingt, solche Reflexionsphasen so fest zu verinnerlichen, dass sie das eigene Verhalten lenken,
  • ob es gelingt, die Begründungen für das eigenen Handeln festzumachen an Kriterien des Wohls für die eigene Gruppe, für größere soziale Gemeinschaften, für die Gesellschaft oder für alle Menschen.

Die Entwicklung moral-kognitiver Urteilskompetenz ist zwar eine besonders schwierige aber dennoch notwendige Lern-Leistung. Zu lernen ist:

  • dass man über das eigene Handeln nachdenken muss,
  • dass Handlungsweisen verantwortet werden müssen und
  • dass es tragfähige Alternativen zur affektiven Konfliktlösung durch Gewalt gibt.
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