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Netze und dynamische Systeme
"Fehler" bei der Modellbildung und der Interpretation - Exkurs in die Analysis

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Zunächst ein kleiner Exkurs in die Analysis und in die diskrete Mathematik
am Beispiel des Räuber-Beutemodells von Spinnmilben und Raubmilben
     

Von den Zustands- und Modellgleichungen des
Räuber-Beutemodells
lässt sich das folgende Differenzengleichungssystem abstrahieren.

 

Für diesen Exkurs wählen wir hier die Zustands- und Modellgleichungen des Räuber-Beutemodells von Spinnmilben und Raubmilben (siehe Seite ma1919.htm).

S_neu <-- S_alt + Δt · (SG - ST); Anfangsgröße S = 100;
R_neu <-- R_alt + Δt · (RG - RT); Anfangsgröße R = 70;

SG = gs · S;       gs = 0,35
ST = ss · S · R · ff;       ss = 0,17;       ff = 0,01
RG = gr · R · S · nf;       gr = 0,22;       nf= 0,005
RT = sr · R;       sr = 0,11
     
 

Das Differenzengleichungssystem dieses Räuber-Beutemodells würde wie folgt lauten:

Δ S = Δ t · (gs · S - ss · ff · S · R)
ΔR = Δt · (gr · nf · R · S - sr · R)

     
Von diesem Differenzengleichungssystem lässt sich wiederum der nebenstehende
Typ eines Differentialgleichungssystems abstrahieren.
  Und würde dieses Differenzengleichungssystem dann in die bekannte Symbolik der Analysis übersetzt, so würde der folgende Typ eines Differentialgleichungssystems über der Menge der reellen Zahlen entstehen:

dS/dt = a · S – b · S · R
dR/dt = c · R · S – d · R

     
Die Lösung [S(t); R(t) mit t ε R sowie a,b,c,d ε R ] des Differentialgleichungssystems kann einer Parameterdiskussion unterzogen werden.
  Mathematisch lässt sich beweisen, dass dieser Typ eines Differentialgleichungssystems eine Lösung [S(t); R(t) mit t ε R] besitzt. Findet man die algebraische Lösung, so enthält
  • der Lösungsterm S(t) die Formvariablen a und b und
  • der Lösungsterm R(t) die Formvariablen c und d.

Eine rein mathematisch orientierte Parameterdiskussion könnte sich anschließen. Und das alles wäre dann auch mathematisch exakt.

     
Im konkreten Fall wird eine Näherungslösung gesucht, da die Parameter nicht mehr frei diskutierbar sind.
  Im konkreten Fall nähert man sich der reellen Lösung des Differentialgleichungssystems durch eine diskrete Rechenschrittfolge in einem abstrakten, rationalen Zeittakt Δt.
Genau das geschieht mit den Zustands- und Modellgleichungen im obigen Räuber-Beutemodell. Diese schrittweise, rechnerisch diskret bestimmte Lösung ist dann der reellen Lösung umso näher, je kleiner der Rechenschritt Δt gewählt wird.
Aber im realen Fall eines Räuber-Beutemodells sind die Parameter nicht mehr frei über R diskutierbar. Sie sind in einem gewissen Rahmen (Intervall) durch den konkreten Sachverhalt bestimmt. Und außerdem macht es keinen Sinn, wenn die Anzahlen für R(t) und S(t) negativ oder zu riesig werden.
     
Also geht es nunmehr um eine sinnvolle Interpretation für Δt
  Im Prinzip geht es also bei vorgegebenen Parametern darum, für Δt eine Größe (Maßzahl mal Maßeinheit) zu finden, die den Sachverhalt sinnvoll interpretiert. Für Δt ist also zunächst eine angemessene rationale Zahl und dann schließlich eine Größe zu finden, die den Sachverhalt sinnvoll interpretiert!
     
Hierzu zwei Beispiele zum obigen Räuber-Beutemodell
  Erster Fall: Δt = 0,5

Siehe hierzu:
ExcelDateien/Mappe1918f.htm (zur Ansicht) oder ExcelDateien/Mappe1918f.xls (herunterladbar und interaktiv)

Die Zeitachse ist im Zeittakt von Δt = 0,5 geeicht. Sie ist eine reine Zahlengerade mit 77 diskreten rationalen Zahlen, zu denen jeweils ein S(t) und R(t) berechnet worden ist. Aber die Zahlen auf dieser Zahlengeraden sind reine Maßzahlen (rationale Zahlen), die noch keine Maßeinheit besitzen.
     
    Zweiter Fall: Δt = 0,1

Siehe hierzu:
ExcelDateien/Mappe1918i.htm (zur Ansicht) oder ExcelDateien/Mappe1918i.xls (herunterladbar und interaktiv)

oder iehe hierzu:
ExcelDateien/Mappe1918j.htm (zur Ansicht) oder ExcelDateien/Mappe1918j.xls (herunterladbar und interaktiv)

Die Zeitachse ist nunmehr im Zeittakt von Δt = 0,1 geeicht. Auch sie ist eine reine Zahlengerade mit 77 bzw. 140 diskreten rationalen Zahlen, zu denen jeweils ein S(t) und R(t) berechnet worden ist. Im zweiten Fall ist nf = 0,006 und ff = 0,015 gesetzt. Alle anderen Werte sind wie oben.
     
Es gibt keine mathematisch eindeutige Zuordnung von Δt und einer Zeit-Größe mehr, sondern nur noch unterschiedlich begründete, sinnvolle Bedeutungen!
 

Im realen Fall muss der Zeittakt durch eine Größe (Maßzahl * Maßeinheit) interpretiert werden. In konkreten Fällen kann es dann sinnvoll sein, den Zeittakt 0,5 oder auch den Zeittakt 0,1 mit 1 Tag (oder gegebenenfalls auch mit 1 Stunde oder 1 Tag oder 1 Woche oder 1 Monat) zu interpretieren. Welche Bedeutung zugewiesen wird, hängt vom speziellen Fall ab und begründet sich durch den Sachverhalt.

Oder anders formuliert: Immer ist also die abstrakte Zeitachse, die (qua Zeittakt) nur endlich viele rationale Zahlen enthält, zu interpretieren. Und das ist für MathematikerInnen ein Problem. Denn für die Zeitachse sind jetzt Größen (1Jahr, 1Tag, 1Minute ...) anzunehmen, um überhaupt eine qualitative Deutung vornehmen zu können. Um eine solche, bisweilen emotionale oder empathische Deutung geht es aber bei der Lösung von realen Problemen.

     
    Sodann muss nun ausdrücklich festgestellt werden, dass der Begriff "Fehler" bei der dynamischen Modellierung realer Probleme nicht mehr angemessen ist. Jetzt greifen die Begriffe "sinnvoll" oder "bedeutsam" oder "deutbar" oder ähnliche. Fehler gibt es also nur bei der abstrakten, rein mathematischen Lösung.
     
Gefahren ("Fehler") im Zusammenhang mit der Modellbildung und Interpretation
     

Gefahren bei der Intepretation
von Modellergebnissen

 

Die Gefahren bei der Intepretation von Modellergebnissen bestehen darin,

  • dass Modell-Ergebnisse ohne Rücksicht auf die beim Modellbildungsprozess unvermeidlich begangenen Fehler mit der Realität gleichgesetzt werden,
  • dass Simulationsergebnisse als zukünftige Realität gesehen werden statt sie als eine notwendig zu interpretierende anzusehen,
  • dass dem Computer einfach geglaubt wird und eine sachgerechte Beurteilung und Reflexion unterbleibt.
Mögliche Gefahrentypen
bei der Modellierung


  Vereinfachungsgefahren resultieren
  • aus der Notwendigkeit der Reduktion der komplexen Wirklichkeit auf ein überschaubares System,
  • aus der idealtypischen Abstraktion von Zustandsgrößen, Flussgrößen und Parametern sowie
  • aus der mathematisch ungenauen, mitunter rein spekulativen Beschreibung der Wechselwirkungen mit dem Zweck einer qualitativen Verhaltensbeschreibung.
    Verfahrensgefahren resultieren
  • aus der Auswahl und Anwendung eines (i.d.R. aus mathematischer Sicht zwangsweise ungenauen) Rechenverfahrens sowie
  • aus der nicht sorgfältigen Unterscheidung von stetigen und diskreten Systemen.

Lezteres bedeutet:

  • In diskreten Systemen ändern sich die Zustandsgrößen jeweils in einem feststehenden Zeittakt Δt sprunghaft mit einer bestimmten Zustandsänderung (Änderungsrate).
  • In realen Systemen haben wir es aber immer und ausschließlich mit diskreten Systemen zu tun.
  • In stetigen Systemen, die in der Anwendung bedeutungslos sind, ändern sich die Zustandsgrößen stetig, was nur durch ein hinreichend kleines Δt modelliert werden kann. Jedoch bleibt es bei dieser Modellierung auch bei einem hinreichend kleinen Δt bei einer diskreten Mathematik.
  • Werden stetige Systeme mit Differentialgleichungen (also mit dt) modelliert, so hat dies nur für die "reine Mathematik" eine Bedeutung, die bestenfalls noch in der theoretischen Physik eine Rolle spielt.
  • Es ist auch wissenschaftlich noch unklar, ob die physikalische Größe Zeit gequantelt oder stetig ist. Ist die Zeit gequantelt, dann gibt es realiter kein dt. dt existiert dann nur in der wunderbaren, geisteswissenschaftlichen Analysis.
 

Rechenfehler ergeben sich dadurch,

  • dass bei der schrittweisen Berechnung von Zuständen (etwa mit Excel) die Rechenergebnisse auf null, eine, ... oder vier Stellen hinter dem Komma gerundet werden,
  • dass der Computer grundsätzlich nur mit endlich vielen Stellen rechnen kann. (Computer "kennen" keine irrationalen Zahlen, sondern nur eine endliche, diskontinuierliche Teilmenge der rationalen Zahlen.) und
  • dass sich eventuelle Rundungsfehler insbesondere bei kleinem Δt, d.h. bei vielen Rechenschritten gegenseitig auch noch verstärken können.
Mathematiker und Mathematikerinnen suchen bei Differentialgleichungen nach einer mathematisch besten Lösung.
 

Mathematikerinnen suchen nach der fehlerfreiesten, approximativen nahezu stetigen Lösung. Und dabei sind Fehler unvermeidbar. Nur wenige Differentialgleichungen lassen sich algebraisch lösen. Hierzu siehe die Ausarbeitungen:

auf der Seite http://www.kohorst-lemgo.de

Aber alle diese Betrachtungen sind eine wunderbares Glasperlenspiel, dass in der reinen Wissenschaft Mathematik, also auch in einem Leistungskurs Mathematik seine Bedeutung hat.

     
 
     
Ideen für mögliche, selbstorganisierte
Übungen:
 
  • Diskutiert an einem selbst gewählten Modellierungbeispiel mögliche Vereinfachungsgefahren und Interpretationsfehler.

Beachtet, dass sich Differentialgleichungen nur in relativ wenigen Spezialfällen exakt (stetig) lösen lassen. Diskutiert und begründet daher:

  • dass bei stetigen Systemen der zwangsläufige Diskretisierungsfehler (Verfahrensfehler) beim Euler-Cauchy-Verfahren von der Ordnung  (dt)2 und beim Runge-Kutta-Verfahren von der Ordnung  (dt)5 ist.
  • dass diese innermathematische Sichtweise für die reine Mathematik sinnvoll aber für Anwendungen bedeutungslos ist.
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