blikk Schule gestalten   Neue Medien:
Mehr Lernqualität
         
  zum forum zur galerie zur übersicht  
infos zum arbeitsbereich infothek  
blikk schulentwicklung        
   
Projektberichte: "Ich heiße nicht Pumuckl"
oder "Streit um die Wippe"

zum anfang zurückblättern umblättern ans ende eine ebene nach oben
 
Fälle von verbal-beileidigender Gewalt
 
Berichte von Elisabeth Kuschkewitz, Grundschule Pantrings Hof, Herne und Christian Laner, Pädagogisches Institut, Bozen
 
Rahmendaten zum Projekt
  Projektzeitraum: Anfang Mai bis Anfang Juni 98
Genutztes Medium: Lern- und Arbeitsbereich "Friedensfähigkeit" Fallbeispiel: "Streit um die Wippe" und Fallbeispiel: "Ich heiße nicht Pumuckl".
Beteiligte Schulen: 6 Grundschulen aus NRW und eine Grundschule in Lana
Ausstattung:
in der Medienecke der Klassen ein Multimedia-Computer mit Internetanschluss, Scanner und Drucker.
     

 

 

Zum Fallbeispiel "Streit um die Wippe" wird aus der Sicht eines 4. Schuljahres der Grundschule Pantringshof in Herne und zum Fallbeispiel "Ich heiße nicht Pumuckl" aus der Sicht eines 5. Schuljahres der Grundschule in Lana berichtet. Die Kinder am "Pantrings Hof" und in Lana hatten bereits Erfahrungen im Umgang mit Hypermedia-Arbeitsumgebungen in vorausgegangenen Projekten gesammelt. In diesem Projekt wurden sie zusätzlich in die neuen Möglichkeiten der Online-Medien, sowohl in die Navigation der Mediothek als auch in die Nutzung der Eingabemaske des Schwarzen Brettes eingeführt. Der Unterricht fand im Rahmen des regulären Stundenplanes im Sach-und Spracheunterricht statt.

     
Einstieg in das Thema "Beleidigung" in Herne
 

Ein Gesprächskreis über den konkreten Anlass einer Beleidigung eröffnete die Unterrichtseinheit. Danach haben die Kinder, nach ihrem eigenen Willen, erst einmal Beispiele von Beleidigungen in ihren Tischgruppen gesammelt und auf Karteikarten geschrieben. Alle Karten wurden anschließend im Gesprächskreis vorgetragen und diskutiert. Dabei ergaben sich vier Möglichkeiten von verbalen Beleidigungen:

  • "Erwachsene beleidigen Kinder"
  • Beleidigungen wegen der Herkunft "Du Türke"
  • Beleidigungen wegen des Aussehens "Du Pumuckl"
  • "Mädchen beleidigen Jungen"

Je nach Interessenlage bildeten die Kinder nun Kleingruppen zu den verschiedenen Arten von Beleidigungen. Aufgabe jeder Kleingruppe war es, die Beleidigungsfälle gewaltfrei zu lösen und evtl. Möglichkeiten zu finden, einen solchen Konflikt erst gar nicht entstehen zu lassen.

     
Einstieg in die Online-Kommunikation
 

Zum Einstieg in die Online-Kommunikation verfasste jede Kleingruppe als erstes einen kurzen Begrüßungstext am Schwarzen Brett, in dem sie ihr Thema vorstellte und ihre Namen bekannt gab.

     
Mit großer Begeisterung stellten die Kinder fest, dass ihr Text schon kurz nach dem Abschicken, am Schwarzen Brett zu sehen war. Mit Spannung wurde am nächsten Tag auf Beiträge von anderen Schulen gewartet. Angekommene Beiträge wurden in der Kleingruppe gemeinsam gelesen, ausgedruckt, an eine Pinnwand in der Klasse öffentlich gemacht und im Arbeitsordner der Kleingruppe abgeheftet, damit die "Sache" am Gruppentisch weiter bearbeitet werden konnte
 
     
   
Blick in die Medienecke der Klasse und auf die Aushänge
     
"Streit um die Wippe"
  Das Fallbeispiel "Streit um die Wippe" war Anlass für die Kleingruppe "Du Türke", sich mit der Problematik, der Beleidigung wegen der Herkunft, auseinander zu setzen. Die Kinder schrieben zunächst ein Beispiel aus ihrem Erlebnisbereich und hefteten es ans "Schwarze Brett".
     
Die Gruppe "Du Türke": Isabel, Marcel, Daniel, Maik und Ramis, Klasse 4a, GS Pantrings Hof schrieben:
  Ramis ist in unserer Klasse. Er fühlt sich eigentlich sehr wohl bei uns. Er ist 10 Jahre alt. Beim Fußballspielen in der Pause gibt es oft Streitereien. Darüber hat uns Ramis etwas erzählt: Beim Fußballspielen wird oft gerempelt und dadurch kommt es oft zu gewaltigen Streitereien und kräftigen Schimpfwörtern. Ramis wird oft "Türkenmischling" genannt. Ramis fühlt sich dann ausgestoßen und will nicht mehr mitspielen. Dann geht er weg. Nach ein paar Minuten will er dann doch weiterspielen.
     
Am Schwarzen Brett entwickelte sich eine lebhafte Diskussion
  An der Diskussion beteiligten sich mehrere Schulen intensiv. Es entstand ein vielschichtiges Bild der Problematik. Alle Beiträge wurden mit großem Interesse gelesen und in der Kleingruppe weiter diskutiert . Völlig überrascht waren die Kinder, als sie den folgenden Beitrag der Grundschule aus Lana am Schwarzen Brett entdeckten.
     
Stefan, Andreas, Dennis und Werner aus Lana schrieben:
  Wir (Stefan, Andreas, Dennis und Werner) haben das ähnliche Problem wie ihr. Nur statt Türken sind es Italiener. Bei uns leben sowohl Deutsche als auch Italiener. Die meisten deutschen Kindern gehen in deutsche Schulen und die meisten italienischen Kinder gehen in italienische Schulen. Wenn wir mit italienischen Kindern spielen wollen, können wir das nur in der Freizeit.
Vorteile, wenn Kinder aus zwei Sprachen zusammenarbeiten:
Wir lernen eine andere Sprache. Wir lernen uns kennen. Es können neue Freundschaften entstehen. Wir lernen Neue Spiele kennen. Lernen tolle Lieder. Die Italiener haben gute Kochrezepte (Pizza, Eis, Spaghetti).
Schwierigkeiten, wenn Kinder aus zwei Sprachen zusammenarbeiten: Die Sprache zu verstehen. Italiener sind für uns "Walsche". Die Italiener empfinden es als Beleidigung. Italiener sind viel lauter als Deutsche. Die Italiener nennen uns "Cruchi".
Wir empfinden es als Beleidigung. Wir werden darüber nachdenken, wie wir mit Menschen aus anderen Ländern leben können. Bis bald die Gruppe 5A der Grundschule Lana
     
Erkenntnis in Herne:
In Südtirol
gibt es auch eine "Ausländerproblematik"!
  Das war den Kindern aus Herne völlig neu, dass in einer Provinz in Italien die "Italiener" als die "Ausländer" angesehen werden und dass dort außerdem die meisten deutschen und italienischen Kinder nicht gemeinsam in eine Schule gehen, sondern deutsche bzw. italienische Schulen besuchen. Ganz aufgeregt trugen sie diese "Entdeckung" der ganzen Klasse am Ende der Unterrichtseinheit vor, was bei einigen den Wunsch aufkommen ließ, mehr über das Leben in Südtirol zu erfahren. Außerdem machten die Schülerinnen und Schüler aus Lana in ihrem Text einige interessante Aussagen und Vorschläge zum Umgang mit der anderen Nationalität, welche die Gruppe "Du Türke" für ihre Weiterarbeit aufgreifen konnte.
     
"Ich heiße nicht Pumuckl"
  Dieses Fallbeispiel sollte für die Kinder einen Anlass schaffen, sich mit den Grenzen zwischen Beleidigung und Kosename sowie über kulturelle Unterschiede bei "Schimpfnamen" auseinander zu setzen. Da Pumuckl eine Reizfigur ist, welche den meisten Kindern bekannt war, erhofften wir Lehrerinnen und Lehrer uns, dass auf diese Weise eine kommunikative Auseinandersetzung stattfinden würde. Und das geschah auch. Im Folgenden soll nicht der gesamte Unterrichtsverlauf, sondern nur einige Ausschnitte aus dieser Kommunikation dargestellt werden.
     

Die Gruppe von der Grundschule Pantringshof schrieb am 13.05.1998:

... Nachdem wir uns heute das Fallbeispiel "Pumuckl" angesehen haben, wollen wir unsere eigenen Erfahrungen schildern. Einem Jungen in unserer Gruppe ist auch schon einmal so etwas passiert ... Uns interessiert noch etwas: Warum ist "Pumuckl" ein Schimpfwort? Vielleicht könnt ihr uns diese Frage beantworten!
Eure Gruppe "Pumuckl"

 
     
   
Aushänge der Mitteilungen vom Schwarzen Brett an eine Pinnwand
     
Auch Kinder der 4b der Grundschule an der Schulstraße in Herne fragten und schrieben:
  Am Montag haben wir uns die Fallbeispiele "Pumuckl" und "Streit um die Wippe" angesehen. Uns interessiert aber besonders "Du Türke". Zuerst haben wir alle möglichen Schimpfwörter und Beleidigungen gesammelt ... PS: Auch wir wissen nicht, warum "Pumuckl" ein Schimpfwort ist.
     
Drei Mädchen aus Lana in Südtirol antworteten darauf am 15.05.1998
 

Die Mädchen antworteten nach sehr intensiven Diskussionen in der Gruppe, die erstmals auch bei den Kindern in Lana selbst die Tragweite des Umgangs mit Spitznamen deutlich machte. Auch kam auf diese Weise noch eine weitere Diskussion in Gang, da in Südtirol das Wort ‚Spitzname' häufig durch ‚Übername' ersetzt wird, dass aber in Nordrhein-Westfalen eine andere Bedeutung hat.

Wir (Tina, Cornelia, Stefanie, Birgit) haben uns mit eurer Frage beschäftigt. Ein Übername ist ein Schimpfwort, wenn man es dementsprechend betont. Pumuckl kann ein Kosenamen sein, wenn man die positiven Seiten des Anderen sieht. Wir haben versucht, gute und schlechte Eigenschaften vom Pumuckl herauszufinden.
GUTE EIGENSCHAFTEN - SCHLECHTE EIGENSCHAFTEN abenteuerlich - frech, witzig - unsportlich, niedlich - zimperlich, hilfsbereit - ungehorsam, lieb - tollpatschig, erfinderisch - schwatzhaft, neckisch - bequem, unordentlich - schwatzhaft
So sind wir der Meinung, dass ein Übername jemanden verletzen oder aufmuntern kann. In unserem Fallbeispiel ist Pumuckl ein Schimpfwort und verletzt Martina. Das ist das Ergebnis unserer Diskussion. Tschüss! Bis bald! Die 5a aus Lana

     
Schließlich beteiligte sich noch die Ennertschule aus Bonn an der Diskussion und brachte ihren Standpunkt ein:
  Hallo Tina, Cornelia, Stefanie und Birgit, wir sind Eurer Meinung, dass Pumuckl ein Schimpfwort und ein Kosename sein kann. Martina ist beleidigt worden, obwohl sie groß ist. Sie hat rotes Haar und ist unsportlich. Peter hat sie absichtlich Pumuckl genannt, Martina fühlt sich jetzt klein und kommt sich wie eine Witzfigur vor. Er hat es geschafft, Martina "niederzumachen". Wir haben herausgefunden, dass dies oft die Absicht bei Beleidigungen ist. Die Kinder, die beschimpft werden, können gut unterscheiden, ob sie mit Wörtern verletzt oder aufgemuntert werden sollen. Wir werden in der nächsten Woche dazu mehr Beispiele suchen und euch schicken.
Eure Klasse 3b
     
Resumée
  Die Fülle von Beiträgen ganz unterschiedlicher Art und Sichtweisen ließ die Kinder erahnen, wie vielschichtig und komplex die Problematik "verbaler Beleidung" ist und dass sie mit dem Ende des Projektes nicht abgeschlossen sein konnte. Aber ein nicht unwesentlicher Anfang war gemacht. Die internationale Kommunikation über das Schwarze Brett hat mit dazu beigetragen, Verständnis füreinander anzubahnen und über den Umgang mit "Menschen aus anderen Ländern" nachzudenken. Die "direkten" Erfahrungen von interkultureller Differenz regten weitere Aktivitäten "vor Ort" an. Die Kinder haben versucht, gemeinsam ein Thema zu diskutieren. Aber das wirklich Schwierige an dieser Art der Auseinandersetzung über das Internet ist, dass Kinder zwar ihre Gedanken und Arbeiten an das Schwarze Brett heften, aber seltener auf die Gedanken der anderen reagieren. Hier spielt die Form des gewohnten Unterrichts eine wesentliche Rolle. In einem Unterricht, in dem keine Kommunikation zwischen den Kindern stattfindet, wird es auch nicht möglich sein, dies auf eine "technisierte" Ebene zu transferieren. Die Kommunikation in der Klasse muss funktionieren, allgemeine und themenbezogene Kommunikationsregeln müssen "gekonnt" sein sind. Und ein weiteres wesentliches Element in der Kommunikation ist, dass Kinder sich mit Namen ansprechen und nicht nur als Klasse präsent. Bei der Arbeit mit dem Lern- und Arbeitsbereich kommt es aber außerdem zu einer Verbesserung und Steigerung der Lese- und Schreibfertigkeit sowie zu einem Ausbau und einer Erweiterung der Methodenkompetenz der Schülerinnen und Schüler.
 

© Pädagogisches Institut der deutschen Sprachgruppe - Bozen - 2000