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Küng: Projekt Weltethos -
ein Beispiel für einen diskursethischen Ansatz
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Kommunikations- oder Diskursethik  

Dieser philosophische Ansatz wird als ein sehr ehrgeiziger und differenzierter Versuch bewertet, eine allgemeingültige Moraltheorie zu begründen, um mit ihr auf die Probleme der technologischen Evolution reagieren zu können. Diese Philosophie ist mit den Namen Karl-Otto Apel (geb. 1922) und Jürgen Habermas (geb. 1929) verbunden.

Apel und Habermas versuchen, die von Kant aufgeworfene Frage nach den Bedingungen von wahrer Erkenntnis neu zu beantworten. Gegenüber den weit verbreiteten Auffassungen, dass es keine letztverbindlichen Wahrheiten ohne Rückfall in die Metaphysik oder Theologie geben kann, bestehen sie darauf, ein rationales Fundament der Vernunft allgemeinverbindlich bestimmen zu können. Ein Gegner dieser Ansicht ist der Wissenschaftstheoretiker Popper (kritischer Rationalismus). Andere Gegner sind Theologen.

Apel und Habermas suchen nicht nach einem letzten Grund (etwa dem SEIN oder GOTT), sondern machen das Begründen und Bestreiten, also das Argumentieren selbst zum Gegenstand ihrer Untersuchung. Sie fragen nach dem, was wir, wenn wir sinnvoll argumentieren, immer schon voraussetzen müssen. Somit bildet nicht das Denken des Einzelnen (wie bei Kant), sondern die gemeinschaftliche, immer schon sprachlich vermittelte Argumentation, der Diskurs, den Ausgangspunkt der Überlegungen.

     
Bedingungen des Argumentierens  

Wer an einem Diskurs teilnimmt, der hat schon, ob er es will oder nicht will, die reflexiv und rational ermittelbaren Regeln der Argumentation bereits anerkannt. Das Argumentieren, selbst das skeptischste, hat sozusagen die Struktur der Unentrinnbarkeit: ich kann das Argumentieren nicht argumentativ außer Karft setzen.

Und, so reflektieren Apel und Habermas, bei jeder Argumentation gelten vier allgemeine (universale) Geltungsansprüche:

  • Meine Rede muss, wenn sie etwas besagen will, verständlich sein.
  • Ich muss mein eigenes Argument für wahr halten, also unterstellen, dass jeder dem zustimmen kann.
  • Ich muss mich mit dem Anspruch der Richtigkeit auf für alle verbindliche Normen beziehen.
  • Ich muss sinnvoll argumentieren, also beim Argumentieren wirklich das meinen, was ich sage.
     
Zwang-lose Übereinstimmung: Konsens  

Bei Einhaltung der Bedingungen des Argumentierens ist der Diskurs eine Verhandlung, bei der

  1. im Prinzip niemand ausgeschlossen oder benachteiligt sein darf,
  2. nur Argumente und nicht etwa rhetorische Kniffe Zählen und
  3. der Rechtsspruch nicht von einem einzelnen gefällt wird, sondern in der zwanglosen Übereinstimmung, also dem Konsens der Beteiligten.
     
Grenzen der Diskursethik   Eine Grenze der Diskursethik wird darin gesehen, dass ihr ein gesellschaftspolitisches Programm fehlt. Oder anders formuliert: In der Diskursethik fehlen die Ziele. Diese sind aber bei Hans Küng in seinem Projekt "Weltethos" zu finden. Man kann den Versuch von Küng in eine Diskursethik einordnen.
     
Küng: Das Projekt "Weltethos"  

Hans Küng beschreibt in seinem Projekt "Weltethos" beispielhaft einen in gewisser Weise diskursethischen Versuch, sich über Normen und Werte innerhalb der großen Weltreligionen zu verständigen. Diese Verständigung sollte und müsste aber auch die Fragen eines "Friedens mit der Natur" (also auch alle Fragen einer technischen Evolution) mit aufgreifen.

Küng sagt: "Immer deutlicher wurde mir in den letzten Jahren, dass die eine Welt, in der wir leben, nur dann eine Chance zum Überleben hat, wenn in ihr nicht länger Räume unterschiedlicher, widersprüchlicher oder gar sich bekämpfender Ethiken existieren. Diese eine Welt braucht ein Ethos; diese eine Weltgesellschaft braucht keine Einheitsreligion und Einheitsideologie, wohl aber einige verbindende und verbindliche Normen, Werte, Ideale und Ziele."

Literatur: Hans Küng, Projekt Weltethos, Piper, München 1990

     
Kein Überleben ohne Weltethos  

Wir brauchen ein globales Ethos. Denn auf Dauer ist keine Demokratie ohne ein Minimum an Grundkonsens möglich. Und dieser muss sich auf eine Verantwortung für Mitwelt, Umwelt und Nachwelt beziehen und in einem dynamischen Prozess immer wieder neu gefunden werden. Dabei brauchen wir eine Koalition der Glaubenden und Nichtglaubenden.

     
Kein Weltfriede ohne Religionsfriede  

Religionen haben jeweils ihre (absolute) Wahrheit, die sogar - wie die Geschichte immer wieder zeigt - mit Waffengewalt verteidigt wird. Küng meint daher, dass weder eine "Festungsstrategie" noch eine "Verharmlosungsstrategie" oder "Umarmungsstrategie" weiter helfen und Dialogfähigkeit und Standfestigkeit keine Gegensätze sind. Daher fordert er einen ökumenischen Weg zwischen Wahrheitsfanatismus und Wahrheitsvergessenheit.

     
Kein Religionsfriede ohne Religionsdialog  

Die Religionen müssen in einen Dialog eintreten, soll es zunächst zu einem friedlichen Miteinander der Religionen kommen. Religionen müssen sich über verbindliche Normen und Werte verständigen. Denn der Religionsfriede ist eine Voraussetzung für einen dauerhaften Weltfrieden, der sich auf Mitwelt, Umwelt und Nachwelt bezieht.

     

Arbeitsaufträge:

 

Diskutiert die folgenden Fragen in eurer Gruppe und auch international am Schwarzen Brett.

  • Was ist bei Küng mit Verantwortung für Mitwelt, Umwelt und Nachwelt gemeint?
  • Was ist bei Küng mit "Festungs-", "Verharmlosungs-" und "Umarmungsstrategie" gemeint, und warum helfen diese Strategien nicht weiter?
  • Was ist bei Küng mit einer Koalition aus Glaubenden und Nichtglaubenden gemeint und warum ist ein Dialog zwischen diesen beiden Gruppen so außerordentlich wichtig?
  • Warum ist die Klärung dieser Fragen auch für eine Verständigung über gen- und biotechnologische Folgewirkungen grundsätzlich wichtig?
  • Wie aber verhält sich das Projekt "Weltethos" zu den vielen so genannten Bindestrich-Ethiken?
   

© Pädagogisches Institut der deutschen Sprachgruppe - Bozen - 2000