blikk4
Freitag, 25. November 2016
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Es war einmal an einem sonnigen Spätsommertag. Ein laues Lüftchen wehte durch die Straßen, der Obstverkäufer pries seine frischgepressten Multivitaminsäfte an und am spärlich besuchten Zeitungsstand investierten die zwei älteren Damen von Nebenan ihre kürzlich erhaltene Rente in Lottoscheine. Die Straßen waren leergefegt, denn die Kinder, die in den Ferien tagein tagaus Himmel und Hölle gespielt hatten, drückten längst wieder die Schulbank.
Inmitten des Geschehens, an der Bushaltestelle neben dem Postamt, das erst kürzlich geschlossen hatte, saß Tanja und steckte sich eine Zigarette an. Nach langem Überlegen, was sie heute anziehen sollte, hatte sie sich für den schwarzen Mantel entschieden, in dem sie so elegant wirkte. Auch in ihre Haare hatte sie einige Zeit investiert und das Make-up hatte sie absichtlich dezent aufgetragen. Das Resultat der stundenlangen Arbeit mit Lockenstab und Rundbürste ließ jedoch zu wünschen übrig. Doch wen kümmerte das schon? Sie war ohnehin viel zu aufgeregt, um sich darüber noch Gedanken zu machen. Eigentlich müsste sie jetzt gerade im Mathematikunterricht ihre Prüfung nachschreiben... All das war jetzt unbedeutend. Sie musste sich auf das konzentrieren, was vor ihr lag.
Sie wartete auf Silke, ihre erste große Liebe. Diese war vor zwei Jahren nach San Francisco gereist, um ihren Vater zu suchen. Erst hatten sie noch versucht, in Kontakt zu bleiben, doch die Nachrichten waren weniger und weniger geworden und so hatten sie sich schließlich ganz aus den Augen verloren. Tanja hatte es kaum glauben können, als an diesem Morgen ihr Telefon geklingelt hatte. Silke würde zurück kommen. Vielleicht konnten sie ja dort anknüpfen, wo sie vor zwei Jahren unterbrochen worden waren...
Schon von Weitem sah Tanja Silke auf sich zukommen und traute ihren Augen kaum. Silke war kaum wiederzuerkennen. Aus der stilsicheren, anmutigen heranwachsenden jungen Frau von vor zwei Jahren, war ein Mauerblümchen im Straßenköteroutfit geworden. Ihre Haare waren fettig und ungepflegt. Nicht einmal der Schmutz auf ihrem ungeschminkten Gesicht verdeckte die Rötungen und nachtschwarzen Augenringe. Mit schwerem Schritt schleppte sie ihren trägen Körper samt Obdachlosentasche die Straße entlang. Silke war verwahrlost.
OPEN END
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Multimedia-Geschichte