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LEBENS- und ARBEITSGEMEINSCHAFT
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  von George Kuppens            


Freiheit & Gruppengesetz

Autonomes Lernen

Stammgruppe

offen

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Peter Petersen weist mehrmals darauf hin, dass der Gedanke der Lebensgemeinschaft Grund- und Vorbedingung jeder sinnvollen Bewegung innerhalb der Schule ist. Im Grunde gibt dieser Gedanke sowohl die Norm wie auch die Richtung an.

Die Lebensgemeinschaft ist zweifellos das pädagogische Grund(Basis)konzept in Peter Petersens Werk. Es ist wie das Alpha und das Omega, der Beginn und auch die Vollendung seiner Pädagogik. Ein Mangel auf dieser Ebene würde alles Übrige zu einer pädagogischen Illusion machen, die in den tiefsten Mythen der menschlichen Natur, der Kindheit und der denkenden Vernunft wurzelt. Und ist nicht heute diese Voraussetzung der Lebensgemeinschaft noch viel wichtiger als sonst, wenn wir wissen und annehmen, dass die Krise der Schule als solche nur zu verstehen ist als Teil einer allgemeinen Krise der sozialen Beziehungen?


 

LEBENSGEMEINSCHAFT UND GESELLSCHAFT

Die Begriffe "Gesellschaft" und" Gemeinschaft" sind voneinander sehr verschieden. Zahlreiche Unterschiede und sogar Gegensätze zwischen den beiden Wirklichkeiten lassen sich leicht erkennen, und zwar in Bezug auf ihre äußere Gestalt ihr inneres Wesen und die angesteuerten Ziele.

Wir wissen, dass jede soziale Einrichtung manchmal äußerst starken äußeren Zwängen ausgesetzt ist. Diese Zwänge finden ihren Ursprung in der kollektiven Verwirrung der Menschen, im Überlebenskampf, im täglichen solidarischen Miteinander. Um diese Bewegungen unter Kontrolle zu halten (und die Anarchie zu vermeiden), entstehen Sozialstrukturen (gesellschaftliche Strukturen). Diese Strukturen sind starr, fest und streng, denn die Gesellschaft hat grundsätzlich den Auftrag, Interessenkonflikte zu verwalten und zu schlichten.

Das erste Ziel einer Gesellschaft liegt darin, die Grundbedürfnisse ihrer Mitglieder zufrieden zu stellen. Das ist ihre Daseinsberechtigung. Sie kennt keine höheren Ziele; sie verfolgt keinen Selbstzweck; sie verschwindet als solche und wird ersetzt, sobald sie die Bedürfnisse nicht mehr befriedigt, für die sie geschaffen worden ist. Die Gemeinschaft hingegen entspricht einer völlig anderen internen Dynamik. Die zu ihr gehörenden Individuen sind in absoluter Freiheit miteinander verbunden durch eine Art Einverständnis mit einem gemeinsamen Ideal. Dieses wird getragen durch Berater, um die sich die Mitglieder in Freiheit (ver)sammeln.

Gegenüber stellend dargestellt könnte man sagen, dass die Gesellschaft einen äußerst zweckgebundenen Nützlichkeitscharakter hat; sie ist ohne eigenes Ziel und dementsprechend auswechselbar je nach den unmittelbaren Interessen und Bedürfnissen. Sie baut sich hierarchisch auf.

Die Gemeinschaft hingegen beruht auf einem Zugehörigkeitsgefühl ihrer Mitglieder. Sie "vereinen" sich um ein gemeinsames Ideal. Jedes Mitglied findet seinen ihm entsprechenden Platz.

Beispiel

 

Wir wollen versuchen, diese Begriffe durch einige Beispiele aus dem täglichen Leben näher zu erläutern. Die Arbeiter, die auf den Bus warten, die Zugreisenden, die Bewohner eines Stadtviertels, die Bewohner eines Hochhauses, alle diese Leute leben nebeneinander her; sie sammeln sich mal in einer (Warte)Schlange oder in einem Zugabteil, ein andermal in einem geografischen Raum oder in einem Turm (?). Bei jeder dieser Gelegenheiten verbindet sie ein Interesse, das sie gemein haben (das ihnen gemeinsam ist), und zwar irgendwo hinzukommen -unabhängig von den anderen- oder irgendwo zu leben, getrennt von den anderen. Das Interesse, das sie gemein haben, berührt sie nicht, wird ihnen von außen her aufgezwungen und bleibt ihnen fremd. Selten werden sie ein Gespräch beginnen, es sei denn über (nichts Sagendes) Unverbindliches, Banales (unverbindliche Banalitäten); sie verschließen und verstecken sich hinter ihrer Zeitung oder ihrem Fenster. Sie bilden eine passive, resignierte Menge (Masse), die ein Schicksal erleidet, ein Nebeneinander von Einsamkeiten, eine Serie ... (Reihenfolge), um einen Begriff von Sartre aufzugreifen.

Sie bilden eine (Ver)Sammlung von Interessen (Interessens[ver]sammlung).

Wenn hingegen diese Leute in der Warteschlange an der Autobushaltestelle beschließen, (bei der ... Regie des Transports) beim Busunternehmen vorstellig zu werden, um die Anzahl der Busse zu erhöhen; wenn die Zugreisenden von Molukkern als Geiseln genommen werden und aus der Not(wendigkeit) heraus beschließen, gemeinsam ums Überleben zu kämpfen; wenn die Hochhausbewohner miteinander beschließen, Grünflächen anzulegen oder anlegen zu lassen; wenn die Bewohner eines Viertels ein gemeinsames (Straßen)fest organisieren, dann werden die Interessens(ver)-sammlungen umgewandelt in Lebensgemeinschaften, wenigstens für kurze Zeit.

   

In einem solchen Fall stellt man fest, dass die Mitglieder etwas gemeinsam haben, und zwar ein genügend starkes Interessensgebiet, um es zu verinnerlichen, es zu tragen, sodass aus einem Interesse, das ihnen gemein(sam) ist, ein gemeinsames (Interesse) Ziel wird. Das setzt voraus, dass die Teilnehmer entdecken, dass eine gegenseitige Wechselbeziehung zur Verwirklichung dieses Interesses (Zieles) notwendig ist. Dass jeder jeden kennt, strahlt auf die Gruppe aus, taut die eingefrorene Kommunikation auf und fördert Sympathie- (oder Antipathie)ströme.

Das gute gegenseitige Verständnis schafft Achtung füreinander, auch wenn sie noch ungleichmäßig und zerbrechlich ist. In diesem Augenblick kann das gemeinsame Interesse wirklich von allen getragen werden (können sich wirklich alle des gemeinsamen Interesses annehmen).

   

© Pädagogisches Institut der deutschen Sprachgruppe - Bozen - 2000