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Reformpädagogik ist kein statischer Inhalt, den man sich aneignet und eins zu eins umsetzen kann, sondern ist ein Prozess, vielmehr eine Haltung, in die man langsam hineinwächst und nach und nach für sich entdeckt.

„Die Stärke einer Gruppe liegt in ihrer Heterogenität- man muss sie nur zu nutzen wissen.“- Eine der ersten Erkenntnisse, zu der ich in meiner Arbeit als Lehrperson in der Reformpädagogik kam.

 

Ausgangslage: 1.Klasse Grundschule, 12 Schüler und Schülerinnen aus verschiedenen sozialen Schichten, teilweise unterschiedlichen Herkunftsländern und stark voneinander abweichenden Sprachniveaus bzw. Ausgangsvoraussetzungen. Die Anforderung an mich: Alle Kinder in ihrem eigenen Lernen fördern und dennoch auch Aktivitäten für die Gruppe finden, von denen alle profitieren können. Meine größte Hürde stellten dabei die unterschiedlichen Sprachniveaus dar. Sprachgewandte Kinder führten die Gespräche, während die anderen sich zurückzogen und sich kaum beteiligten bzw. beteiligen mussten. Und so entstand aus der Not heraus ein Projekt, dessen Umfang ich damals noch nicht abschätzen konnte:

 

"Präsentieren in der Grundschule- der Weg vom Sprechanlass zum Sachthema"

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Ein Anspruch war, alle Kinder zum Sprechen zu bewegen- einerseits um das Sprechen vor einer Gruppe zu üben (bzw. sich zu überwinden), andererseits aber auch um Sprechanlässe und Situationen zu schaffen, in denen sich die Kinder gezielt in korrekter Sprache zu einem Thema austauschen um sowohl als Referierende als auch als Zuhörer zu profitieren.

Um dieses Vorhaben umzusetzen eignete sich der Morgenkreis besonders gut. Die Lernumgebung ist entspannt, die Atmosphäre stressfrei. Die Kinder sitzen im Kreis, sprechen über ihre Gemütszustände und Erlebnisse. Jedoch, wie bereits erwähnt, nicht alle beteiligten sich gleichermaßen; manche hörten nur zu, manche schienen aber auch abzudriften. Vor allem diejenigen, die der deutschen Sprache nicht mächtig waren, konnten den Gesprächen oft kaum folgen. Doch Sprechen und Sprache lernt man nur aktiv:

Ausgehend von ihrem eigenen Lebensumfeld und ihren Vorlieben sollten sich die Kinder im Vorfeld einen Gegenstand wählen, mitbringen und diesen in zwei bis drei korrekten Sätzen vor der Gruppe beschreiben. Dabei genügten einfache Aussagen über korrekte Bezeichnung, Form und Farbe. Dies sollte zu Hause vorbereitet und flüssig vorgetragen werden. Durch die Übung zu Hause gewinnen die unsicheren Kinder an Sicherheit und trauen sich eher, vor der Gruppe zu sprechen, wobei die Kinder nicht-deutscher Muttersprache bzw. mit niedrigem Sprachniveau die Möglichkeit haben, vorher Wortwahl und Satzbau auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen und einzuüben. Einen vorbereiteten Terminplan berücksichtigend sollte jedes Kind einmal pro Woche eine kurze Präsentation vorbereiten; es wurde jedoch jedem sein eigenes Tempo zugestanden, sodass einige Kinder erst nach ein paar Wochen genug Selbstvertrauen fanden, vor der Gruppe zu sprechen.

Im Anschluss an jede Präsentation hatten die Zuhörer die Möglichkeit Verständnisfragen zu stellen und es folgte eine Feedbackrunde: Auf freiwilliger Basis konnte die Schülerinnen und Schüler Rückmeldung zum Vortrag geben. Von Anfang an dabei wichtig: Die Kommentare sollten nicht verallgemeinert („Mir hat es gefallen.“), sondern konkret gehalten werden („Mir hat gefallen, dass du deutlich gesprochen hast.“). Bei Kritik musste ebenfalls die Situation benannt und es sollten eventuell auch konkrete Verbesserungsvorschläge oder Ratschläge formuliert werden.

Das Modell entwickelte sich zum Erfolg: Die Kinder bereiteten kleine Vorträge zu verschiedensten Gegenständen, angefangen von Alltagsgegenständen wie Apfel, Pausenbox und Griffelschachtel bis hin zu Spielsachen wie Roboter oder Puppenspieluhr, vor. Je nach Sprach- und Bildungsniveau beschränkten sich die Präsentationen auf einfache Adjektive zum Gegenstand (rot, rund, weich) oder waren ausführlicher und genauer. Allen gemeinsam waren jedoch der Bezug zum Alltag und die Anknüpfung an die direkte und unmittelbare Lebens- und Erfahrungswelt aller Kinder. Keiner war ausgeschlossen aufgrund seiner Herkunft oder Sprache und jeder konnte sich meist mit dem Gegenstand identifizieren. Dementsprechend hoch waren und blieben auch stets das Interesse und die Aufmerksamkeit währenddessen. Durch das Feedback erhielt der Vortragende unmittelbar Rückmeldung über Gut-Gelungenes wie aber auch konkrete Verbesserungsmöglichkeiten. Die Zuhörer hingegen hatten die Möglichkeit, sich aktiv am Gespräch zu beteiligen und somit war ein neuer Sprechanlass in der Gruppe entstanden. Positiver Nebeneffekt war, dass die Kinder mit der Zeit lernten konstruktive Rückmeldungen zu geben und andererseits diese auch anzunehmen ohne sie als Verletzung oder persönliche Beleidigung aufzufassen.

Für eine erste Klasse mit derart unterschiedlichen Voraussetzungen war dies bereits eine beachtliche Leistung. Natürlich nahmen nicht alle Schüler und Schülerinnen in dem Maße teil wie ich es mir gewünscht hätte-es gab auch diejenigen, die häufig unvorbereitet kamen.  Insgesamt konnte ich das Projekt „Präsentation der Woche“ jedoch als Erfolg abbuchen. Die wichtigsten Ziele waren mir dabei zusammenfassend folgende:

  • Sprechanlässe schaffen
  • Wortschatz erweitern, Syntax üben
  • vor einer Gruppe sprechen
  • aufmerksam zuhören
  • die Eltern in den täglichen Schulalltag einbeziehen
  • der Eltern direkt und unmittelbar am Erfolg des eigenen Kindes beteiligen
  • Verantwortung übernehmen
  • konstruktives Feedback geben und nehmen

 

Um die Sache an sich, den vorgestellten Inhalt, ging es mir dabei in der ersten Klasse kaum. Wichtig war, dass die Kinder Gegenstände aussuchten, mit denen sie sich identifizieren konnten und die sich einfach und in ihrer Sprache beschreiben ließen.

 

»Am Anfang jeder Eroberung steht nicht das abstrakte Wissen - das kommt normalerweise in dem Maße, wie es im Leben gebraucht wird - sondern die Erfahrung, die Übung und die Arbeit.«  (Freinet 1987, S. 21)

 

Da von Lehrpersonen und Schülern gleichermaßen geschätzt und für konstruktiv befunden, wurde die „Präsentation der Woche“ auch in der zweiten Klasse fortgesetzt. Ab jetzt galt es jedoch, Gegenstände nicht nur in ihrer äußeren Form, sondern auch Beschaffenheit, Funktion, Verwendung, Herkunft etc. zu beschreiben. Die Kurzreferate wurden so anspruchsvoller, jedoch war immer noch die individuelle Differenzierung möglich. Sprach- bzw. bildungsfernere Kinder beschränkten sich weiterhin auf Alltagsgegenstände mit konkreter Angaben zum Material oder wie sie in deren Besitz gekommen waren, während andere sich zu Hause mit ihren Eltern auf die Suche nach ausgefallenen Dingen oder nach wissenschaftlichen Erklärungen machten. Der Reiz lag in der Natur der Sache und so spornten sich sie Kinder untereinander indirekt an, jeder Präsentation zu einer besonderen Präsentation zu machen. Dabei wurde über Ungewöhnliches wie Wüstenrosen, Süßkartoffeln oder Scartleitungen gleichermaßen berichtet wie über die Herkunft und Zusammensetzung eines Teebeutels, die korrekte Bedienung einer Mokkamaschine oder das fachgerechte Zubereiten von Nudeln. Einige übertrumpften sich dabei von Woche zu Woche selbst mit ihren Präsentationen- zusätzlich wurde es immer beliebter auch Verkostungsproben oder vielfältiges Anschauungsmaterial mitzubringen. Die Kinder orientierten sich dabei häufig an bereits Gehörtem und knüpften an die Inhalte ihrer Mitschüler an oder bauten darauf auf. Wie bereits erwähnt, spannend gleichermaßen für Lehrpersonen und Kinder, sowie auch immer für Eltern, die während ihrer Hospitationen an Präsentationen teilnehmen konnten. Zunehmend wichtiger wurde auch das Präsentieren an sich: Blickkontakt, flüssiges Sprechen, Begriffsklärungen und ein roter Faden durch den Vortrag. Die kritischsten Rückmeldungen kamen dabei immer von den Kindern selbst, die besonderen Wert darauf legten, dass in der Vorwoche gegebene Tipps auch berücksichtigt und umgesetzt wurden.

Neu in der zweiten Klasse war zudem, dass –falls laut Stundenplan in der ersten Stunde Italienisch war- die Präsentationen auch in italienischer Sprache gehalten werden mussten. Dabei wurde von mir anfangs der Terminplan so festgelegt, dass gleich zu Jahresbeginn die italienischsprachigen Kinder und erst nach und nach die anderen zum Zug kamen um niemanden zu überfordern. Auch mussten sich die Präsentationen nicht mehr zwangsläufig auf einen mitgebrachten Gegenstand beziehen, es konnte nun auch über ein Erlebnis oder Ähnliches berichtet werden, das mit einem Bild oder Foto veranschaulicht wurde.

Der Terminplan wurde alle 2 Monate geändert: Einerseits um den Kindern Abwechslung zu verschaffen, andererseits um als Hauptlehrperson die Gelegenheit zu haben, alle im Laufe des Schuljahres anhören zu können.

Damit sich die Schülerinnen und Schüler gewissenhaft zu Hause vorbereiten konnten, gab es in Deutsch und GGN keine weiteren Hausaufgaben. Dies wurde auch den Eltern so mitgeteilt, sodass auch diese sich der Wichtigkeit und Wertigkeit dieser wöchentlichen Präsentationen bewusst waren.

Und so wurde auch in der zweiten Klasse fleißig vorbereitet und präsentiert und- auch meinen Ansprüchen gerecht werdend- es konnten alle davon profitieren und ihren Nutzen daraus ziehen, sei es in aktiver wie auch in passiver Rolle.

 

»Wirklich wichtig ist nicht das Wissen, sind nicht einmal die Entdeckungen: Wichtig ist das Forschen.«   Célestin Freinet, 1896–1966

 

Nach der Wendung, die diese „Präsentationen der Woche“ im Laufe des zweiten Schuljahres in Richtung wissenschaftliches Referat nahmen, lenkte ich das Projekt in der dritten Klasse schlussendlich bewusst in diese Richtung: Der Hauptfokus sollte nun auf dem Forschen und Suchen nach Informationen liegen. Die Voraussetzungen dafür wurden bereits im Laufe des zweiten Schuljahres im Kernunterricht geschaffen und als Grundfertigkeiten eingeübt. Anfangs noch mit Hilfe eines Erwachsenen sollte es schließlich Ziel sein, am Ende der dritten Klasse weitgehend selbstständig nach Informationen zu suchen und Ressourcen wie Internet, Bücher aber auch Experten gewinnbringend nutzen zu können. Besonders wichtig war mir dabei der kritische Umgang mit Quellen, vor allem aus dem Internet.

Ausgehend von den Vorgaben der Rahmenrichtlinien des Landes für Geographie, Geschichte und Naturkunde wählte ich einen Bereich aus, zu dem sich die Kinder dann mit ihrem konkreteren Thema im Terminplan eintragen konnten. Beispielsweise war einer der ersten Bereiche im Herbst das Thema „Vögel im Winter“. Dabei durften sich die Schüler und Schülerinnen dann frei entscheiden: Wählten sie einen spezifischen Vogel aus oder betrachteten sie allgemein Zug- bzw. Standvögel oder befassten sie sich konkret damit, wie ein Zugvogel seine Ziele fand o.ä. Alles war erlaubt, was mit der Thematik im Einklang stand.

Die Kinder sollten einerseits eine Wahl haben, aber gleichzeitig auch einen bestimmten Fokus im Blick behalten und nicht „am Thema vorbeierzählen“. So konnte zwar der Vogel frei gewählt werden, jedoch sollte nicht über Brut- und Paarungsverhalten sondern konkret über das Verhalten des Vogels im Herbst bzw. Winter recherchiert werden. Klingt einfach, war es aber nicht. Anfangs hatte so mancher große Schwierigkeiten, die passenden Informationen herauszufiltern bzw. konkret danach zu suchen. Doch- Übung macht den Meister! Und so gelang es den meisten nach und nach immer besser sich im vorgegebenen Rahmen frei zu entfalten (Präsentationen in der 3b).

Aus organisatorischer Sicht wurde dabei dann wieder wie folgt vorgegangen: Eine allgemeine von mir geplante Einführung leitete meist in ein Thema ein. Der Terminplan wurde dann rechtzeitig vorher ausgehängt. Die Kinder sollten sich zum vorgegebenen Bereich und einem möglichen Thema Gedanken machen und sich in den nächsten Tagen mit gewünschtem Inhalt zum bevorzugten Termin eintragen. Mehrfachnennungen waren auch möglich, da sich die Präsentationen immer voneinander unterscheiden. Um zu überprüfen, ob die Zuhörer aufmerksam waren und aber auch, ob der Inhalt verstanden wurde, endete jeder Vortrag meist mit ein oder mehreren Quizfragen o.ä. Die Referate sollten einen Zeitrahmen von 10 Minuten nicht überschreiten, sie läuteten die tägliche Freiarbeit ein. Während die übrigen Kinder im Anschluss an das Feedback an ihren Freiarbeitsplänen weiterarbeiteten, fertigte das referierende im Rahmen der Freiarbeit eine Karteikarte (nach Vorlage von BLIKK), die dann für die Klasse laminiert und themenmäßig ausgehängt wurde. Eine weitere Kopie kam vorerst zur Ansicht nach Hause und dann in die eigene GGN-Mappe. Als Unterlagen für die Erstellung der Karteikarten durften lediglich die Moderationskarten (mit ca. 5 Stichworten je Karte) verwendet und am Ende ein bis zwei Bilder aus dem Internet eingefügt werden. So entstanden im Laufe des Jahres kleinere Materialsammlungen, die laufend auch in den Folgejahren ergänzt werden können.⑤

Ziel am Ende jeder Einheit: Die Schülerinnen und Schüler sollten die grundlegenden Informationen aus der Einführung und den Präsentationen kennen sowie zudem in einem Bereich auch genaueres Fachwissen (aus dem eigenen Vortrag) aufweisen. Durch offene Fragen in einer Lernzielkontrolle wurde dies regelmäßig überprüft. Auf diese Weise wurde im Laufe des Schuljahres der Großteil der vorgeschriebenen Themen abgearbeitet.

Weiteres Ziel war der selbstständige Umgang mit den digitalen Medien bei der Erstellung der Karteikarte: Einschalten, Aufrufen der Vorlage, Erstellen des Textes, Speichern unter dem eigenen Namen im passenden Themenordner, Suchen und Einfügen von Bildern aus dem Internet mit Quellenangabe und selbstständiges Drucken mit Auswahl des passenden Druckers. So lernten die Kinder nebenbei den Umgang mit dem PC.

Mehrmals im Jahr wurden auch Präsentationen mit freier Themenwahl eingeschoben, wobei es keinen vorgegebenen Rahmen gab und die Kinder ganz nach ihren Wünschen ein Thema aussuchen konnten- für einige heißersehnt, für manche aber auch eine leichte Überforderung.

Auffallend war auch, dass sie sich nach längerem Zeitraum noch an vieles erinnern konnten.

Daher werde ich auch im kommenden Schuljahr das Projekt weiterführen: Die Kinder erarbeiten weiterhin selbstständig Sachthemen und erstellen Materialsammlungen. Neuer Fokus könnte vielleicht die Körpersprache sein…

»Wenn es Kinder gäbe, die ausschließlich in der Schule gelernt hätten - und nirgendwo sonst - würde man den totalen Misserfolg dieser Lernform feststellen. Wir meinen, und die Erfahrung liefert uns in jedem Moment den Beweis, dass das Kind sich selbst erzieht - nicht durch von außen herangetragenen Unterricht, sondern durch experimentelles Versuchen im Leben selbst.« (Freinet)

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